Wundertüten aus dem Mitteldevon (Ätzkalipräparation)

An einer Rohrleitungsbaustelle nahe Prüm fielen  mir im Aushub Stücke einer graugelben  Mergelkalkschicht auf, die an Bruchstellen Querschnitte zahlloser Kleinfossilien erkennen lies. Klüfte und teilweise Schichtflächen waren oft hellgelblich verfärbt. Auf den Schichtflächen war wegen des Lehmbelages meist nichts zu sehen, ein weiteres Problem war die mangelnde Festigkeit des Materials, die meisten Stücke ließen sich mit der Hand zerbröseln, auf den Bröckchen erkannte man zahllose Bryozoen, einzelne kleine Brachiopoden usw. Ich suchte aus dem Aushub robustere Stücke aus kalkreicheren Lagen heraus, die ich zunächst einem Stabilitätstest unterzog. Hinterher hatte ich 4 große Plastiktüten mit etwas soliderem Material im Kofferraum, erst mal für unsere kleine Wohnung deutlich zu viel.

Ich beschloss, eine Tüte mitzunehmen und den Rest an einer unauffälligen Stelle im Wald anwittern zu lassen.

Zu Hause brauste ich die verbliebenen Stücke praktisch ohne Erfolg in der Badewanne kräftig ab. Fossilien konnte man keine erkennen, nur die Wanne und Umgebung sahen aus wie eine Wildsausuhle und ich als sei ich selbiger soeben entstiegen. Im Gesicht hatte ich zahllose neue Sommersprossen. Meine Frau hat durch diverse Nervenkrisen anlässlich ähnlicher Aktionen glücklicherweise  inzwischen eine gewisse Gleichmut erlangt. Die Steine verteilte ich anschließend auf diverse Plastikschüsseln und ließ sie erst einmal auf dem Balkon mehrere Tage einweichen. Das Putzen des Bades dauerte selbstverständlich um ein Vielfaches länger als der missglückte Reinigungsversuch, zum Glück hatte ich vorher  in einem Anfall von Weitsicht das mobile Inventar herausgeräumt. Wenn ich noch einmal solche Funde mache, kippe ich die erst mal in den nächsten Bach.

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Einige der Platten nach der ersten Reinigung. Wie man sieht, sieht man nichts. Länge des größten Stücks 12,5 cm

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Nur an den Bruchkanten kann man den Fossilreichtum der Platten ahnen, Bildbreite 4,5 cm

Ein Blick in die Schüsseln zeigte nach einigen Tagen, dass sich bei etwa der Hälfte der Stücke die Präparation erledigt hatte, sie waren zerfallen. Den Mergelbrei entsorgte ich über die Toilette, hinterher noch eine ordentliche Ladung Ätzkali drauf, damit nix verstopft. Während es im Klo kräftig  brodelte und zischte, begann ich, die verbliebenen Stücke zu bürsten. Wegen der Geräuschentwicklung in der Toilettenschüssel traute sich meine Frau trotz meiner Beteuerungen, es bestehe keinerlei Explosionsgefahr, nicht diese zu benutzen. Chemie ist ihr irgendwie unheimlich. Mein Arbeitszimmer bezeichnet sie ohnehin wegen der diversen Chemikalienvorräte  nur noch mit „Gorleben“. Dort lagern u. a.  25 kg Ätzkali, mehrere kg Karbid, Essig- und Salzsäure, diverse Kleber usw., was man halt im Leben so braucht. Nach mehrfachem kräftigem Spülen war aber die Toilette auch für Furchtsame wieder benutzbar. Verstopft war auch nichts, Ätzkali sei Dank

Nach dem Abbürsten der Kalkmergelstücke wurden auf den Schichtflächen mancher Stücke Kleinfossilien, vor allem Bryozoen und Crinoidenstielglieder ahnbar. Weiteres Einweichen und Bürsten brachte keine deutliche Verbesserung. Ich rührte eine Schüssel Kalilauge an und ließ die Stücke 2 Tage darin weichen, nach erneutem Bürsten konnte man deutlich mehr erkennen, aber befriedigend war das Ergebnis bei weitem nicht. Man konnte immer noch nicht entscheiden, ob von den Stücken überhaupt einige das Aufheben lohnen.

Ich legte die Mergelstücke in Schüsseln, schüttete eine ca. 1 cm dicke Schicht Ätzkali über das Ganze und sprühte regelmäßig Wasser darauf. In den Plastikschüsseln wurde es durch die Reaktion ziemlich heiß. Während ich neben den  leise vor sich hinzischenden Schüsseln Pflaumenkuchen verspeiste, bekam ich Bedenken, dass deren Kunststoff durch die Erwärmung weich würde und sich die Kalilauge auf dem Laminatfußboden meines Arbeitszimmers ausbreiten könnte, das wäre die perfekte Schweinerei. Die Schüsseln wurden ziemlich heiß, blieben aber zum Glück formstabil. Nach mehreren Stunden spülte und bürstete ich die Stücke ab. Das Ergebnis war phantastisch, die meisten waren förmlich mit Kleinfossilien übersät. Viele Bryozoen, Brachiopoden, kleine Korallen und aus dem Ganzen sah mich ein perfekt erhaltenes Trilobitenauge an.

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Erst nach dem ersten Ätzvorgang wird der Fossilgehalt erkennbar. Bildbreite 6,5 cm

Jeder weitere Ätzvorgang brachte neue Einzelheiten zum Vorschein. Von den  28 bearbeiteten Stücken beschloss ich, letztendlich 5 zu behalten. Sie wanderten für das Entfernen des Ätzkalis vier Wochen in den Spülkasten der Toilette. Leider gab es danach immer noch reichlich Ausblühungen des Präpariermittels. Nach einigen Essigwasserbädern kamen sie daher noch einmal 4 Wochen in den Spülkasten. Anschließend beträufelte ich die Stücke mehrfach mit Wasserstoffsuperoxid und reinigte anschließend jeweils mit Ultraschall.

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Eines der fertigen Stücke, die gitterartigen Fossilien sind Bryozoen, vermutlich der Gattung Fenestella, Breite 10,8 cm

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Detail aus der Platte, Bildbreite 6,4 cm

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Weiteres DetaiI, in der Mitte ein Bruchstück eines Trilobitenkopfschildes mit leider beschädigtem Auge, Bildbreite 4,6 cm


Ich hoffe, dass die Ladung im Wald den Winter gut übersteht und weitere schöne Stücke enthält

Die Mergel stammen aus den Junkerberg Schichten der Prümer Mulde. Den genauen Horizont kann ich leider nicht angeben, in unmittelbarer Nähe fanden sich sehr große aber leider meist zerdrückte Exemplare von Desquamatia sp., ebenfalls häufig war Calceola sandalina. Der Ostiolatenhorizont ist nach der Karte von Happelt/Reuling ca. 50 m entfernt. Ein zerdengeltes Exemplar von Spirifer ostiolatus war auch zwischen den Funden. Die Kleinfossilien auf den Handstücken sind nicht sortiert oder  eingeregelt, sie sind also vermutlich nicht nennenswert verdriftet worden. Ich vermute, es handelt sich bei den Fossilgemeinschaften um die Füllung einer Mulde, in der sich Kleinfossilien und Detritus nach dem Absterben der Organismen angesammelt haben. Auffallend sind die häufig sehr schön erhaltenen Bryozoen, identifizieren kann ich die Gattung Fenestella. Gelegentlich findet man Bruchstücke der Trilobitengattung Dechenella, ein ganzes Exemplar war leider bisher nicht dabei.
Unter der Stereolupe sind die Stücke wunderschön, man entdeckt ständig neue Einzelheiten.

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Eine weitere Platte, Breite 8,9 cm

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Weitere Platte, rechts der Bildmitte ein Bryozoenzweig, Bildbreite 6,8 cm

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Weiteres Detail aus der Platte, ein Gewirr von Bryozoenstücken und Crinoidenstielgliedern, Bildbreite 4,6 cm

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Oben in der Mitte wieder ein Bruchstück eines Trilobitenkopfschildes mit Auge, Breite 5,4

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Weitere Platte, oben links ein Trilobitenschwanzschild der Gattung Dechenella, Breite 9,2 cm.


Alle Stücke Sammlung Joachim Strick