Sonstige Bundesländer

Die aktuelle Fundsituation am Kieler Bach an der Kreideküste Rügens

Die aktuelle Fundsituation am Kieler Bach an der Kreideküste Rügens

Als Neuankömmling bei der Steinkern Community möchte ich mich zunächst kurz vorstellen. Als Spaß- und Hobbysammler aus dem Saarland besuche ich etwa vier- bis fünfmal im Jahr die deutsche Ostseeküste, um im Strandgeröll auf Fossilienjagd zu gehen. Meine ersten Lebensjahre verbrachte ich in Heiligenhafen. Dort nahm mich mein Vater vor rund 45 Jahren mit an die Steilüste, wenn er nach Fossilien suchte. Ich wurde bereits in jüngsten Jahren von Donnerkeilen, Seeigeln, Schwämmen, Faserkalk und Co. infiziert. Der Infekt schien für viele Jahre verschollen, doch vor etwa acht Jahren, waren meine Frau und ich zufällig mal wieder in meiner alten Heimat und wanderten an der Steilküste entlang. Dabei wurde die alte Leidenschaft wieder erweckt. Seither waren wir bereits an zahlreichen Stränden unterwegs: von Usedom über Rostock nach Wismar und weiter Richtung Lübeck, im Norden bis Großenbrode und nicht zu vergessen auch am Steilufer von Heiligenhafen. Last but not least besuchen wir mehrmals im Jahr die Kreideküste auf der Insel Rügen.

 

Unterwegs an der Kreideküste am Samstag und Sonntag den 6. und 7. Februar 2016

An diesem Wochenende entschieden wir uns wieder an die Kreideküste zu fahren, noch ohne zu wissen, was uns dort erwarten würde. Unser letzter Besuch lag immerhin schon sechs Wochen zurück und in den letzten beiden Jahren brachte der Winter wenig Veränderungen mit sich. Ein Hotel war um diese Jahreszeit schnell gefunden und wir trafen Freitagabend auf Rügen ein. Am Samstagsmorgen fuhren wir nach Sassnitz. Meine Frau brachte mich zum Parkplatz an der Waldhalle, um anschließend in die Weddingstraße zu fahren. Von dort ging sie zum Abstieg an der Piratenschlucht und machte sich auf den Weg Richtung Kieler Bach.

Ich selbst ging hinunter zum Wissower Klinken und von dort auf dem Hochuferweg Richtung Ernst-Moritz-Arndt-Sicht - die dicke Buche, die seit Jahren mittlerweile fast waagerecht in rund 70 m Höhe über dem Strand hängt, war noch oben, ein Blick zur See zeigte großflächig milchig-weißes Wasser, es muss Abbrüche gegeben haben; doch welche Ausmaße hatten sie?

 

Nach rund 2,5 km Hochuferweg war ich am Kieler Bach, nun galt es nur noch die Rettungsleiter hinunter zu klettern.

Das Bild was sich dort bot, verschlug mir fast den Atem, so hatte ich die Küste noch nicht gesehen. Fast auf der ganzen Länge der Kreidefelsen gab es mehr oder weniger große Abbrüche.

Ich stellte mir natürlich die Frage, wie sicher der Weg an der Küste sein würde, es gab unterwegs keinerlei Warnhinweise und auch keine Absperrungen, lediglich die allgemeinen Hinweise, welche das ganze Jahr überall zu lesen sind, waren da. So entschloss ich mich doch vorsichtig in Richtung Sassnitz loszugehen, immer ein Auge auf den Strand und das andere Richtung Hochufer gerichtet. An vielen Stellen war der Geröllstrand mit Kreide, Lehm und Mergel bis ans Wasser heran zugeschüttet. Ohne Gummistiefel wäre man hier aufgeschmissen gewesen. Viele Fossilien konnte man früher im Spiel der Wellen aus dem Wasser fischen, leider war das diesmal nicht so gut möglich, da es zu trüb war, auch das Geröll am Strand war verbreitet mit Kreide zugeschüttet. Ich begegnete am Strand auch einem einheimischen Sammler, den ich auch in den Jahren zuvor schon getroffen hatte. Er berichtete mir, dass der letzte große Abbruch erst vor eineinhalb Wochen geschah. Nach etwa 1000 m kam ich an die Stelle: Hier war ein Abbruch, der etwa 30 m weit ins Meer hinausragte. Es hatte sich ein Wall gebildet, auf dem man rund gehen konnte, in der Mitte ein Kreidesee.

Eigentlich wollte ich von hier aus in Richtung Sassnitz sammeln und mich dann mit meiner Frau unterwegs treffen. Nach dem Kreidesee begann das Ufer jedoch sehr weich zu werden. Mit einem Ast und den Gummistiefeln begann ich mich vor zu tasten und versank dabei fast bis zur Stiefeloberkante im Kreideschlamm. Ich rief meine Frau an und sagte ihr dass ich wieder umkehre, da es für mich zu riskant erschien weiter in diese Richtung zu gehen. Einige Fossilien, typisch für diesen Bereich, konnte ich aber doch finden. Zahlreiche Belemnitenrostren findet man hier immer, so auch diesmal, darunter sogar ein 8 cm langes Exemplar, so einen findet man auch hier nicht alle Tage.

Vom Kieler Bach ging ich noch ein Stück weiter Richtung Königsstuhl. Auf dieser Strecke fand ich einige z.T. gut erhaltene und auch stark abgerollte Seeigel sowie ein kleines Stück eines Turbanseeigel (Stereocidaris), mitten im Verlauf des Kollicker Baches.

Zwei anstrengende Tage lagen hinter uns, und es war sehr aufreibend und spannend, da ich die Küste noch nie in solch einem akuten Zustand gesehen hatte.

Abschließend muss gesagt werden, dass das Wandern an der Küste stets mit Risiko verbunden ist. Abbrüche können sich zu jeder Zeit ereignen. Die größte Gefahr besteht - und das bestätigt alles was ich hier gesehen habe - wenn es nach ausgiebigen Regenfällen zu länger anhaltendem Dauerfrost kommt und anschließend wieder regnerisches Tauwetter einsetzt, so wie es hier in den letzten fünf Wochen der Fall war.

Abb. 1-19 stammen vom 6. 7. Februar 2016 und wurden im Bereich vom Kieler Bach bis ca. 1000 m Richtung Sassnitz an der Kreideküste auf Rügen aufgenommen, die nachfolgenden Abb. 20-27. zeigen die Fundstücke.

 

Bild 01

Abb. 1: Nach dem Abstieg über die Rettungsleiter am Kieler Bach, zeigt das Foto das sich beim Blick Richtung Sassnitz präsentierende Panorama; die Uferbereiche heißen hier Kieler Ufer und im weiteren Verlauf Fahrnitzer Ufer. Im Vordergrund sieht man den Kieler Bach, der dort einige Meter von den Kreidefelsen in die Tiefe stürzt und über den Strand in die Ostsee fließt.

 

Bild 02

Abb. 2: Ein weiterer größerer Abbruch, der in die See stürzte, die beiden Bäume im Vordergrund liegen schon einige Jahre dort. Im Hintergrund erkennt man im Wasser bereits den größten Abbruch der vergangenen 14 Tage.

 

Bild 03

Abb. 3: Nach ca. 1000 m abenteuerlichem Fußweg war ich am Beginn des großen Abbruchs, der ca 30 m weit ins Meer hinaus ragte. Auf diesen Wällen befanden sich viele sehr kleine Steine, dort verbrachte ich eine ganze Zeit lang, denn dort fanden sich zahlreiche Kleinst-Fossilienteile wie Seeigelplatten und Stacheln, Kalkschwämmchen, Seelilienglieder, Wurmröhren und auch zwei Seesternrandplatten konnte ich auflesen. Mit jeder Welle wurden Belemnitenrostren angeschwemmt. Ein paar schöne Spitzen und auch Stücke habe ich mitgenommen, deren Länge zwischen 4 und 8 cm beträgt. Eines davon war in Flint eingebettet und aufgebrochen, sodass man einen Blick ins Innere (Abb. 21) erhielt.

 

Bild 04

Abb. 4: Ein Blick auf den kleinen Kreidesee.

 

Bild 05

Abb. 5: Hier ist der "Kreideringwall" zu erkennen. Der Untergrund war stabil, so dass man um den See herumgehen konnte.

 

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Abb. 6: Am äußeren Rand des Ringwalls, hinter dem Fels Richtung Horizont beginnt der Küstenabschnitt, der zum Tipper Ort und weiter zu den Wissower Klinken (bzw. zu dem, was noch von ihnen übrig ist) führt.

 

Bild 07

Abb. 7: Am Kreidesee vorbei spaziert, ist dies der Blick zurück. In diesem Bereich war das Ufer bereits sehr zäh und schlammig und wurde immer unberechenbarer, sodass ich mich entschloss zusammen mit einem anderen Sammler umzukehren.

 

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Abb. 8 bis 19: Die Fotos zeigen den Rückweg vom Kreidesee zum Kieler Bach. In der Ostseezeitung meinte ein Geologe vom Landesamt, dass diese Abbrüche bis zum Sommer ziemlich weggespült sein werden.

 

Bild 20

Abb. 20: Bruchstück eines regulären Seeigels.

 

Bild 21

Abb. 21: Der offene Belemnit im Flint ist ca. 8,3 cm lang und hat 1,3 cm Durchmesser.

 

Bild 22

Abb. 22: Übersicht der Strandfunde an den beiden Tagen.

 

Trotz meiner äußerst laienhaften Kenntnisse versuche ich einige Zuordnungen, bin aber auf jeden Fall dankbar, falls jemand aus der Community Korrekturen anmerkt. Die Funde stammen zumeist aus der Oberen Kreide bis tiefstem Tertiär (Danium) und haben ein Alter von ca. 60-70 Millionen Jahren.

 

Bild 23

Abb. 23: Hier sieht man verschiedene Muscheln (Bivalvia), darunter auch Austern, und Armfüßer (Brachiopoda). Die Bruchstücke daneben könnten zu Inoceramus gehören. Vorne im Zentrum könnte eventuell eine Steckmuschel (Pinna) sein ? Ganz vorne links ist ein Armfüßer der Gattung Cretirhynchia, davon hatte ich bisher erst zwei Stück gefunden. Die Stücke links oben dürften Carneithyris subcardinalis sein, eines der Exemplare steckt noch im Flint.

 

Bild 24

Abb. 24: Einige Flint-Seeigel (Echinoidea).

 

Bild 25

Abb. 25: Belemnitenrostren in allen Variationen, mit Bohrlöchern, im Flint, mit Feuersteinfüllung, Bruchstücke und Spitzen. Hätte man alle im Gelände zu sehenden Exemplare eingesammelt, wären an den beiden Tagen sicherlich zwei bis drei Kilo "Donnerkeile" drin gewesen. Die größten Stücke sind etwa 8 cm lang.

 

Bild 26

Abb. 26: Oben rechts kreidezeitliche Einzelkorallen sowie eine weitere abgerollte Koralle, die auch aus einem silurischen Geschiebe stammen könnte. Rechts unterhalb sind Seesternrandplatten und eine Seeigelplatte eines regulären Seeigels (Turbanseeigel) zu sehen, unten im Bild Bruchstücke von Stacheln regulärer Seeigel, zum Teil mit Basis. Links oberhalb der 10-Cent-Münze liegen mehrere Kalkschwämmchen (Porosphaera). Neben den Seeigelstacheln links: Stängel von Seelilien (Crinoidea), links im Bild Kalkröhrenwürmer, die geraden nicht näher bestimmt, die wie ein Knäuel gewickelten dürften zu Glomerula gordialis zu stellen sein.

 

Bild 27

Abb. 27: Links oben Spurenfossilien (Ichnofossilia) ein Krebsbau und Fressspuren, oberhalb des 10-Cent-Stücks evtl. ein Seelilienglied aus dem Silur oder Ordovizium, daneben evtl. stark abgerolltes Korallenstück, ebenfalls aus dem Paläozoikum.

 

Michael Brenner